Intervallfasten – Hype oder Heilmittel
Wann immer in einer der Facebook Wechseljahresgruppen die Frage aufkommt: wie werde ich die Pfunde wieder los, kommt aus vielen Ecken die Antwort: „Intervallfasten. 16 Stunden fasten und 8 Stunden alles essen, was man will.“
Mhm, stimmt das so? Und was sollte ich sonst noch über Intervallfasten (auch intermittierendes Fasten oder IF) wissen?
Bei solchen vermeintlichen Wunderkuren schaue ich gerne genauer hin, um zu verstehen, was warum funktioniert. Oder auch nicht.
IF war für mich allerdings lange Zeit ein Thema, das ich vermieden habe. Und das obwohl ich selbst regelmäßig intervallfaste und damit gut zurechtkomme.
Der Grund war vielmehr ein Blogartikel, den ich über Intervallfasten und Essstörungen geschrieben hatte. Der Hintergrund war, dass mir innerhalb weniger Wochen 3 neue Patientinnen geschickt wurden, die alle Anzeichen einer ernsten Essstörung zeigten. Mit Mitte 40 bis Mitte 50. In einem Arbeitskreis mit anderen Wissenschaftlern und Medizinern hatten wir diese und andere Fälle untersucht und allen gemeinsam war: Intervallfasten. Daher war im Blogartikel die Aussage: Intervallfasten auf keinen Fall, wenn man eine Neigung oder gar Historie zu Essstörungen hat. Das Resultat des Artikels: ein Shitstorm, Anfeindungen, Beleidigungen. Allerdings schienen die meisten der Trolle den Artikel nicht gelesen oder nicht verstanden zu haben.
Was genau ist Intervallfasten?
Intervallfasten ist keine Ernährungsform, sondern ein Essenszeitplan. Es gibt unterschiedliche Formen und Zeitfenster. Die populärste Form ist 16:8: 16 Stunden Nichtessen und dann im 8 Stunden Fenster darf gegessen werden. Etwas drastischer ist 5:2 IF: 5 Tage wird normal gegessen, 2 Tage gefastet.
Auf andere Sonderformen gehe ich in meinen Vorträgen ein, das würde hier zu weit führen.
16:8 – hört sich doch ganz machbar ab. Und wenn ich es clever plane, schlafe ich 8 Stunden. Oder mal 10 Stunden. Das ist doch die halbe Miete, oder?
Standardfrage einiger Kundinnen
Kann man so machen, das bringt allerdings recht wenig. Schauen wir uns doch mal die Fehler an, die häufig gemacht werden.
Fehler 1: Fastenphase ist zu kurz
Ist 16 Stunden nichts essen das gleiche, wie 16 Stunden fasten? Streng genommen: nein. Die Fastenphase fängt erst dann an, wenn die letzte Mahlzeit den Magen passiert hat. Je nachdem was ich gegessen habe, dauert das 3-4 Stunden. Allerdings ist es bis heute nicht klar, wie lange die Fastenphase denn sein muss, um Ergebnisse zu liefern und eine Wirkung zu zeigen.
Eine positive Wirkung von IF ist die sogenannte Autophagozytose: die Fähigkeit des Körpers Zellabfälle zu entsorgen. Dazu ist aber das 16-Stunden Nicht-essen Fenster zu kurz. Man geht davon aus, dass dieser Prozess erst nach etwa 17 Stunden Nicht-Essen einsetzt. Andere Forscher sind da vorsichtiger: bei Ratten setzt der Prozess nach etwa 24 Stunden ein. Auf den Menschen übertragen bedeutet das, dass die Fastenphase deutlich länger sein muss.
Fehler 2: Falsches Timing
Die Fastenphase überwiegend schlafend zu verbringen ist zwar eine verlockende Idee, aber auch kontraproduktiv:
The fact is, when you’re sleeping everything is slower. And you’re also inactive. See, the main benefits of fasting come from an increase in AMPK. And AMPK is increased when you’re in a significant caloric deficit. When you’re sleeping your energy expenditure is drastically lower than when you’re awake, sometimes twice as low. So an hour of „fasting“ while sleeping is, at the most, equivalent to a half-hour of fasting while awake.
Christian Thibaudeau,
Siehe auch Studie Antero, (2012) AMP-activated protein kinase (AMPK) controls the aging process via an integrated signaling network
AMPK – 5-Adenosin-Monophosphat-aktivierte Proteinkinase Energiesensor, der erhöht wird, wenn Energie gebraucht wird
Demnach sollte man das Fastenfenster dann wählen, wenn man aktiv ist (das sympathische Nervensystem ist aktiv). Die Mahlzeiten sollten wir einplanen, wenn wir zur Ruhe kommen und der Parasympathikus (der Ruhenerv) das Steuer in der Hand hat.
Fehler 3: IF ersetzt keine gesunde Ernährung
Die Frage, die am häufigsten aufkommt: kann ich wirklich alles essen, was ich will? Soviel ich will? (meistens kommt jetzt eine lange Liste von Lebensmittel, die weder kalorienarm noch gesund sind).
Da lautet die Antwort ganz klar NEIN.
IF ist keinesfalls ein Ersatz für eine vernünftige Ernährung, die uns mit allen notwendigen Mikronährstoffen versorgt. Wenn wir während des „Essfensters“ zu viele Kalorien zu uns nehmen, nehmen wir zu. Was zählt, ist die Energiebilanz über einen längeren Zeitraum.
Ein anderes Problem, wenn man für kurze Zeit hemmungslos zuschlägt: der Bauch ist unangenehm voll und wir schlafen schlecht. Schlechter Schlaf wiederum hat Einfluss auf die Gesundheit und auf unser Gewicht.
Lässt IF uns länger leben?
Eine weitere Frage, die ich oft höre: ja stimmt es denn nicht, dass ich länger lebe, wenn ich faste?
Da ist ein Körnchen Wahrheit drin. Studien haben gezeigt, dass tatsächlich die Lebenserwartung steigen kann, wenn man dauerhaft weniger Kalorien (ca. 25 % weniger, als wir brauchen) zu sich nimmt. Der Körper pendelt sich irgendwann auf einem niedrigeren Gewicht ein (wollen wir ja).
ABER: das ist bisher nur an Ratten und Mäusen bestätigt worden.
When you reduce caloric intake by 25%, for their (rodents) total life, it will live longer, but it will really be miserable and aggressive. That is true for us as well.
This Harvard Professor Explains the Secret to Aging in Reverse | David Sinclair on Health Theory
Das trifft mit Sicherheit auch auf den Menschen zu. Wenn wir für den Rest unseres Lebens 25 % weniger essen würden, als wir eigentlich brauchen, wären wir auch schlecht gelaunt und aggressiv. Ich wäre es bestimmt und würde mich fragen:
Warum soll ich länger leben, wenn ich dafür ständig hungern muss? Da geht die Lebensqualität den Bach runter.
Meine Meinung
Was kann ich denn von IF erwarten?
Auch hier gilt:
Die Studienlage ist
- a) nicht eindeutig und
- b) überwiegend an Tieren festgestellt
Zu a) es gibt Studien, die belegen:
- IF hilft, Gewicht zu verlieren
- IF hilft, Zellabfälle zu entsorgen
- IF kann den Schlaf verbessern
- IF bedeutet moderaten Stress für den Körper, der das Immunsystem trainieren kann
- IF steigert die Konzentrationsfähigkeit
- IF vermindert das Diabetes Risiko
Andere Studien wiederum kamen zu dem Schluss:
- IF ist ungeeignet für Menschen mit Veranlagung zu einer Essstörung
- IF lässt Stresshormone ansteigen
- IF kann Schlaflosigkeit verursachen, die REM-Phase ist gestört
- IF Macht unaufmerksam, unkonzentriert
- Durch IF kann die Bauchspeicheldrüse geschädigt werden, Insulinresistenz
- IF führt zu „Feeling Hangry“: eine Mischung aus Hunger und Gereiztheit
Du siehst also, dass die Resultate sich in vielen Punkten widersprechen.
Das passiert übrigens sehr häufig bei Studien in den Ernährungswissenschaften. Es bedeutet keinesfalls, dass die eine Seite recht hat und die andere Seite falsch liegt. Da muss man dann genauer hinschauen und sich die Ausgangslage ansehen. Bei den Studien, die zu dem Ergebnis „Insulinresistenz“ kamen, waren die Versuchstiere vorgeschädigt. Bei denen, wo man feststellte, dass das Diabetes-Risiko sank, wurden gesunde Tiere genommen.
b) Tierversuche: man kann vieles zunächst an Tieren testen. Aber es lässt sich kaum 1:1 auf den Menschen übertragen. Und das ist eines der großen Fragezeichen, wenn es um Intervallfasten geht: es gibt zu wenig langfristige Studien am Menschen.
Die Harvard Forscher fassen es so zusammen:
„Es sind mehr qualitativ hochwertige Studien mit randomisierten Kontrollstudien nötig. Diese sollten lang genug angelegt sein, um eine direkte Wirkung und die möglichen Vorteile des intermittierenden Fastens zu belegen. Beim jetzigen Stand der Forschung ist IF weder besser noch schlechter als andere Methoden.“
Harvard School of Public Health
Unterstreichen möchte ich bei dieser Aussage „Qualitativ hochwertige Studien“.
Auch das ist bei Studien an Menschen schwierig. Eine Ratte sitzt im Käfig und bekommt genau das zu fressen, was der Forscher entscheidet.
Das dürfte beim Menschen schwierig sein. Die Forschung ist darauf angewiesen, dass Studienteilnehmer compliant (im Sinne von „folgsam“) sind und ehrlich das berichten, was sie zu sich nehmen.
Auch dies ist eine große Quelle der Unsicherheit: die meisten Menschen vergessen etwa 30 % dessen, was sie tagsüber gegessen haben. Oder unterschätzen die Mengen ganz gewaltig. Das ist keinesfalls böse Absicht, sondern einfach menschliche Natur.
Die (meistens) letzte Frage:
Ja soll ich denn jetzt intervallfasten?
Meine Antwort:
Ausprobieren. Und keine Schuldgefühle haben, wenn man damit nicht klarkommt. Es kommt halt immer auf die Zielsetzung an: wenn ich abnehmen will, sollte die Energieaufnahme kleiner sein, als der Bedarf. Oder einfach ausgedrückt: weniger essen als wir brauchen.
There’s a ton of incredibly promising intermittent fasting (IF) research done on fat rats. They lose weight, their blood pressure, cholesterol, and blood sugars improve… but they’re rats. Studies in humans, almost across the board, have shown that IF is safe and incredibly effective, but really no more effective than any other diet. In addition, many people find it difficult to fast.
Harward Medical School: Intermittent fasting: Surprising update
Manchmal fällt es leichter, zeitweise gar nichts zu essen, als auf die Ernährung zu achten.
Das wichtigste für mich ist:
- Habe ich die Energie dann zur Verfügung, wenn ich sie brauche?
- Passt IF in meinen Tagesablauf?
- Bekomme ich auch mittelfristig alle Mikronährstoffe, die ich brauche? Ab der Menopause geht ja unser Kalorienbedarf runter, der Bedarf bei einigen Mikronährstoffen steigt an. Bei gleichzeitiger Verschlechterung der Absorption. Wenn Du mehr zu diesem Thema wissen möchtest, empfehle ich meine Gastbeiträge bei Lemondays.
Es gibt einige Anhaltspunkte, wann Intervallfasten nicht angewandt werden sollte. Bei Vorerkrankungen sollte man sowieso zuerst mit dem Arzt oder einem Ernährungsberater sprechen.
Wenn Du wissen möchtest, ob Intervallfasten für Dich in Frage kommen könnte, Du aber unsicher bist, nutze gerne mein unverbindliches Orientierungsgespräch.
Danke für diese wertvollen Einblicke. Ich finde einen anderen Weg 🙂