Spätestens wenn wir in den Wechseljahren sind, merken wir es: wir sind nicht mehr so beweglich, wie in jungen Jahren. Selbst wer wir nie einen Spagat hinbekommen hat, merkt, dass die Beweglichkeit deutlich nachlässt.
Aber es ist nie zu spät, um mit dem Dehnen anzufangen. Im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
Beweglichkeit oder Flexibilität – gerade wenn man, wie ich, im Bereich Yoga unterwegs ist, hat man oft das Bild von Menschen vor Augen, die sich beide Füße hinter den Kopf legen können und dabei ganz entspannt sind.
Alle, die sich auch nur ansatzweise mit Yoga befasst haben, wissen, dass Yoga mehr ist, als eine Reihe von abgefahrenen und spektakulären Positionen oder Asanas, die von sehr beweglichen Menschen durchgeführt werden. Das garantiert zwar mit Sicherheit Aufmerksamkeit bei der nächsten Party, ist aber nicht unbedingt empfehlenswert.
Und heute möchte ich genau über diese Beweglichkeit sprechen. Flexibilität oder Beweglichkeit ist immer wichtig für die körperliche Gesundheit, muss aber gerade in der 2. Lebenshälfte eine höhere Priorität bekommen. Von meinen Kundinnen und mir selbst weiß ich aber auch, dass gerade das ausgiebige Dehnen am Ende einer Trainingseinheit oft vernachlässigt wird. Wenn ich 40 Minuten meine Muskeln trainiert habe, fühle ich mich gut und habe keine Lust mehr, jetzt noch mehr Zeit auf der Matte zu verbringen. Das rächt sich aber schnell.
Was genau ist denn Flexibilität oder Beweglichkeit?
Ja, Menschen, die in der Lage sind, die Füße hinterm Kopf (dem eigenen!) zu verschränken oder extreme Rückwärtsbeugen mühelos auszuführen – das stellt man sich oft unter Flexibilität vor. Aber das ist nur eine Facette und für die meisten Menschen gar nicht relevant.
Viel wichtiger ist die funktionale Beweglichkeit: das heißt, dass man auch in der extremen Dehnung noch Kraft hat und sich nicht nur gummiartig verbiegen kann.
Denken wir mal an unsere Vorfahren: die mussten noch in der Lage sein, sich hinzuhocken, zu krabbeln, springen, klettern, heben und ziehen. Es gab keine Geräte, die körperliche Arbeiten abnahmen, alles musste aus eigener Kraft, mühelos und schmerzfrei geschehen.
Aber heute brauchen wir das alles nicht mehr, unsere Körper werden nicht durch Bewegung in alle Richtungen gedehnt. Zumindest nicht im Alltag. Es ist eher die Ausnahme, dass man beim Autofahren den Kopf dreht. Heute können wir uns auf Assistenzsysteme verlassen. Aber wie wichtig das dennoch sein kann, merken wir, wenn der Nacken steif ist und auch die kleinste Drehung Schmerzen verursacht.
Warum werden wir unflexibel?
Der menschliche Körper ist sehr anpassungsfähig und passt sich dummerweise auch an eine ungesunde Lebensweise an. Und schauen wir uns doch die Menschen auf der Straße an: meistens sitzend, manchmal stehend oder gehend, aber fast immer den Kopf gesenkt, mit Blick aufs Smartphone.
Die häufigsten Gründe für den Verlust der Beweglichkeit sind demnach:
- Stundenlanges Sitzen, wodurch sich Muskeln verkürzen und schwächer werden. Dadurch verlieren auch die Gelenke die Beweglichkeit. Sie werden durch kürzere Muskeln fixiert.
- Exzessives und einseitiges Training: dadurch kommt es zum Ungleichgewicht und zu starker Belastung einiger Gelenke
- Intensives Krafttraining, ohne die Muskeln anschließend zu dehnen: auch hierbei können sich die Muskeln verkürzen, was dann zu Schmerzen führt. Ich erlebe es oft bei Kundinnen, die intensiv den Po trainieren und dann Schmerzen im unteren Rückenbereich bekommen.
- Verletzungen und daraus resultierend eine Schonhaltung
- Zunehmendes Lebensalter: mit zunehmendem Alter werden die Gelenke steifer und weniger beweglich, weil die „Schmierflüssigkeit“ in den Gelenken abnimmt und der Knorpel dünner wird. Auch die Bänder neigen dazu, sich zu verkürzen und an Flexibilität zu verlieren, wodurch sich die Gelenke steif anfühlen.
Faktoren, die die Beweglichkeit beeinflussen
- Temperatur – warme Muskeln lassen sich besser dehnen
- Tageszeit – die meisten Menschen sind nachmittags flexibler, weil sie dann auf „Betriebstemperatur“ sind. Das kann aber individuell unterschiedlich sein
- Verletzungen – hatte man sich mal einen Muskel gezerrt, ist dieser weniger dehnbar. Lässt sich aber (vorsichtig) wieder antrainieren.
- Alter – mit zunehmendem Alter werden wir unflexibler. Auch die Faszien werden dicker und verkleben, was nicht nur die Beweglichkeit einschränkt, sondern auch zu Schmerzen führt.
- Geschlecht – Frauen sind meistens beweglicher, als Männer. Das überrascht uns aber nicht, oder? Aber das geht Hand in Hand mit einem schwächeren Bindegewebe. In einer Schwangerschaft muss sich die Haut ja sehr stark ausdehnen können, und das wäre schwierig mit der männlichen Bindegewebsstruktur.
Warum sollten wir uns übers Dehnen Gedanken machen?
Um die Beweglichkeit zu erhalten oder wieder herzustellen, müssen wir Muskeln dehnen oder, auf gut neudeutsch, stretchen. Der Nutzen liegt klar auf der Hand.
- Wir haben einen größeren Bewegungsradius – es ist müheloser, den Kopf zu drehen, um nach hinten zu schauen, als den ganzen Körper zu drehen.
- Weniger Steifheit oder gar Schmerzen in Gelenken, die bereits im Bewegungsradius eingeschränkt sind.
- Mehr Kraft und effizientere Bewegungen. Damit habe ich auch insgesamt mehr Ausdauer.
- Mehr „Agility“ – man kann sich schneller rumdrehen, schneller reagieren, ist reaktionsschneller.
- Vermindert heftigen Muskelkater nach ungewohnter Bewegung.
- Hilft Anspannung oder Verspannungen durch Stress in den Griff zu bekommen
- Verringert das Verletzungsrisiko bei plötzlichen Bewegungen – eben weil der Bewegungsradius größer ist
- Verbessert die Haltung
- Fördert die Entspannung und hilft, den Kopf runterzufahren oder abzuschalten.
Yoga oder herkömmliches Stretching – was ist die beste Methode?
- Yoga kombiniert dynamische Dehnungsübungen mit statischem Stretching
- Die klassischen Übungen wie „Sonnengruß“ bewirken Muskelstärkung und Dehnung, Gelenkbeweglichkeit und Stabilität, Konzentration und Entspannung
- Yoga trainiert gleichzeitig Flexibilität, Beweglichkeit, Stabilität, Kraft, Balance, Wendigkeit, Körperbewusstsein, Konzentration, Koordination, Disziplin und Fokus. Und bei alldem atmet man tiefer und effizienter ein und aus.
- Die Vielseitigkeit der Übungen fördert die Neurogenese, das heißt, die Bildung neuer Nervenzellen und neuer Nervenverbindungen, auch im Erwachsenenalter. Wenn wir glauben, schon fertig zu sein.
- Die Reihenfolge der einzelnen Yogaübungen ist keinesfalls zufällig, sondern baut aufeinander auf. Bei den meisten Sequenzen wechseln sich Vorwärts- und Rückwärtsbeugen ab und die Dehnung wird immer weiter gesteigert.
- Zusammenfassend kann man sagen, dass Yoga ein funktionales Training auf allen Ebenen ist
- Dehnen nach Muskeltraining verhindert, dass die Muskeln sich verkürzen. Dabei steht das Krafttraining zwar im Mittelpunkt, Aufwärmen (vor dem Training) und Dehnen (nach einzelnen Übungen oder am Ende der Trainingseinheit) ergänzen sich optimal.
Wann soll ich dehnen?
Du kannst und solltest natürlich auch außerhalb einer Yogastunde oder Trainingseinheit dehnen – wann immer es sich gut und richtig anfühlt
- Morgens: gleich nach dem Aufwachen dehnen sich die meisten Menschen ja automatisch. Will man morgens ein ausgedehnteres Training machen, bitte zuerst aufwärmen! Dann hat man einen echten Kick-Start in den Tag
- Nach einem Krafttraining: beim Krafttraining kontrahieren die Muskeln. Stretching ist dann wichtig, um zu vermeiden, dass die Muskeln sich auf Dauer verkürzen. Ich denke, jeder hat schon Bodybuilder mit eindrucksvollen Muskelbergen gesehen, die aber sehr steif und unbeweglich wirken.
- Abends helfen Dehnungsübungen bei der Entspannung. Der Körper fährt runter und man kommt zur Ruhe.
Ich muss gestehen, ich trainiere gerne, lasse aber gerne mal das Stretching ausfallen, wenn die Zeit knapp ist. Um das auszugleichen, plane ich bewusst eine längere Yogaeinheit pro Woche ein. Außerdem schiebe ich an trainingsfreien Tagen oder an Tagen mit einem kurzen Kraftprogramm eine längere Dehnungseinheit ein. Mein Favorit: ein 20-minütiges Ganzkörperstretching mit Caroline Girvan
Und wann sollte ich besser nicht stretchen?
Es gibt Hinweise, dass Dehnen den Muskel vorübergehend schwächen kann und anfälliger für Verletzungen macht. Daher sollte man keine statischen Dehnübungen (mehr als 60 Sekunden) unmittelbar vor einer intensiven Muskelbelastung durchführen. Dazu zählen Sprints, explosive Bewegungen, Plyometrics oder Training mit sehr schweren Gewichten. Aber ich denke, das sind auch nicht unbedingt die Sportarten meiner Leserinnen.
Umgekehrt gibt es bei Hardcore Yogis auch einen Tipp, um die Beweglichkeit schnell zu erhöhen. Den zu dehnenden Muskel etwa 60 Sekunden anspannen, dann sofort dehnen. Dadurch wird das Golgi-Sehnenorgan kurz außer Kraft gesetzt und der Muskel kann stärker gedehnt werden. Bitte nur unter Anleitung und sehr vorsichtig nachmachen.
Die verschiedenen Dehnungsposen
- Rückwärtsbeugen: erhöhen die Beweglichkeit der Quadrizeps (vordere Oberschenkel), Hüftbeuger, Brust und Schultern
- Vorärtsbeugen: dehnen Rücken, Waden, Beibeuger und Hüften
- Seitwärtsbeugen: gut für die seitliche Bauchmuskulatur, Lattisimus Dorsi (große Rückenmuskel) Schultern
- Drehübungen (Twists) dehnen Hüften, unterer Rücken, Brust, Schultern und Nacken. Bitte Vorsicht bei Bandscheibenvorfällen: die können hierdurch verschlimmert werden. Leider spreche ich da aus Erfahrung-
- Hüftöffner: wie der Name schon sagt, werden dabei die Hüften gedehnt und geöffnet.
Verletzungen beim Dehnen vermeiden
Auch beim Dehnen gilt: zu Risiken und Nebenwirkungen….immer einen Fachmann zu Rate ziehen.
Gerade beim Dehnen ist es unsinnig, irgendwelche spektakulären Posen durchführen zu wollen, weil es cool aussieht.
Was man unbedingt bedenken muss:
- jeder Körper ist anders gebaut und hat seine natürlichen Grenzen. Je nach Stellung der Wirbelkörper im Rücken ist es einfach unmöglich, den Rücken stark nach hinten zu beugen.
- Diese natürlichen Grenzen kann man nicht überschreiten, egal, wie sehr man trainiert. Und Menschen über 40, die schon gewisse Abnutzungserscheinungen haben, sollten langsam, mit Bedacht und überlegt trainieren.
- Niemals ruckartig dehnen. Stattdessen, tief einatmen und bei der Ausatmung vorsichtig etwas weiter in die Dehnung gehen.
- Die Dehnungen anpassen: bei Vorwärtsbeugen fällt es den meisten Menschen leichter, wenn die Knie „weich“ sind, also nicht durchgestreckt.
- Die Dehnung darf sich etwas unbequem und anstrengend anfühlen – aber niemals schmerzhaft
- Lasse Dir Zeit und habe Geduld: es hat lange gedauert, bis die Muskeln sich verkürzt haben und Du Deine Beweglichkeit verloren hast. Daher dauert es auch seine Zeit, bis das wieder behoben ist.
- Genau wie bei anderen Trainingsarten: es bring mehr regelmäßig kurze Dehnungseinheiten einzubauen, als hin und wieder sehr lange zu dehnen.
Hast Du Lust bekommen?
Wenn Du Anregungen brauchst, vereinbare einfach ein kostenloses Erstgespräch mit mir. Falls mangelnde Beweglichkeit eines Deiner Probleme ist, finden wir bestimmt ein Programm, das Dir hilft, insgesamt fitter, schlanker und beweglicher zu werden.
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